Mittwoch, 8. Juni 2016

Mückendicht

Bei der Planung des Wohnaufbaus für unseren Bremach stand von Anfang eine Anforderung fest, die zwingend erfüllt sein musste: der Aufbau musste uns den Schutz bieten, den wir beim Reisen mit dem Velo teilweise vermisst hatten. Und zwar zuerst Schutz vor den Elementen wie Nässe, Kälte, Hitze und Staub. Dann auch Schutz vor Diebstahl. Und ganz wichtig: Schutz vor Insekten. Denn diese können einem z.B. in den Tropen ganz schön das Leben schwer machen. Und da es nie eine Option war, eine Klimaanlange einzubauen, musste der Insektenschutz mit guter Belüftungsmöglichkeit kombiniert werden, denn bei 35°C ist es unmöglich, drinnen zu sitzen und alle Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Wir hatten drei Arten von Öffnungen gegen das Eindringen von fliegendem Ungeziefer zu schützen:
  • die Türe
  • vier Fenster
  • das Klappdach
Das Einfache zuerst: für die Fenster bestellten wir bei der australischen Firma Softscreens speziell angefertigte feinmaschige Netzpaneelen (8 mitteldicke Fäden pro Zentimeter) mit aufgenähtem Klett (Velcro). Auf die Fensterrahmen klebt man das Klett-Gegenstück. Fertig. Das funktioniert hervorragend und ergibt zudem einen beschränkten Sichtschutz, nimmt aber auch etwas Licht weg. Aber dank dem Klett sind die Schütze innert Sekunden weg und wieder dran. Einzig der Selbstklebe-Klett auf den Alufensterrahmen verrutscht über die Jahre, weil der Kleber durch Aufheizen der Fensterrahmen etwas weich wird. Aber nach fünf Jahren kann man einen Klett auch mal austauschen.



Die Dachklappe war aufwändiger. Hier nähten wir im Stil der Fensterabdeckungen einen eigenen Schutz aus einem gekauften, feinmaschigen Reisemoskitonetz. Auch dieser Moskitoschutz wird angeklettet. Wichtig ist — und das hatten wir zunächst nicht so —, dass das Netz rund um die Klappe läuft, weil sich sonst beim Scharnier Bereiche ergeben, die ohne einen Stoff mit extremer Dehnbarkeit kaum mückendicht zu kriegen sind.

Netz auch im Bereich des Scharniers (rot markiert)

Netz im hinteen Bereich des Klappdachs

Schlüsselstelle: Türe

Für die Türe bestellten wir bei einer andern australischen Firma ein Insektenrollo nach Mass. Das Rollo wird in Führungschienen nach unten gezogen, wo es sich verriegelt. Zum Öffnen löst man den Riegel mit einer Druckbewegung, und das Rollo “fährt” von einer Feder angetrieben automatisch in den Storenkasten zurück. So weit so praktisch. Es stellte sich aber heraus, dass das Rollo einerseits zu wenig feine Maschen hat, um auch die kleinsten fliegenden Plagegeister abzuhalten, die nachts durch das Kunstlicht angezogen werden. Andererseits dauert einmal Öffnen-und-schliessen zu lange und lässt vor allem das ganze “Tor” offen, was sich bei der Fliegenplage in Westaustralien im April 2015 als unbrauchbar erwies.

Mückenrollo ganz neu: September 2010

So kauften wir in der Not, was wir kriegen konnten: einen Billig-Insektenvorhang mit Magnetverschluss für 13 Dollars. Damit war beim Rein- oder Rausgehen nur noch einen kleine Lücke und für kurze Zeit offen, wodurch nur noch 50 statt 200 Fliegen (sic!) die Chance nutzen konnten. Leider waren auch die Maschen dieses Vorhangs nicht fein genug gegen die ganz Kleinen. Zudem war der Vorhang oben und seitlich angeklettet und wenig elastisch, sodass die Einstiegsöffnung auf ein Dreieck reduziert war. Bei Wind waren die Magnete nicht stark genug, und schliesslich war das Gewebe nicht robust, sodass wir schon bald Löcher und Risse zu flicken hatten.

Selbst ist der Mann und die Frau

Doch nun hatten wir genug gelernt, um die optimale Lösung selbst zu schneidern. Im November 2016 kaufen wir bei Campingprofi in Schlieren einen qualitativ hochwertigen, feinmaschigen Insektenstoff (18 feine Fäden pro Zentimeter) am Meter und nähten daraus einen zweiteiligen Vorhang. Beide Teile sind seitlich und oben mit Velcro befestigt und schliessen sich mit Magnetverschluss.


Um eine grosse Einstiegsöffnung zu ermöglichen, ist der Vorhang oben nicht am Türrahmen angeschlagen (in der folgenden Skizze blau markiert), sondern an der Decke darüber (rot). Dadurch ergeben sich 12 cm mehr Höhe und bereits ein deutlich grösser Öffnung.


Da das Netzgewebe wenig elastisch ist, würden sich die beiden Vorhangteile bei der Gestaltung als flache Paneelen mit Klettfixierung seitlich und oben nur umschlagen aber nicht zurückziehen lassen, wodurch sich die maximale Öffnung auf die Diagonale beschränken würde (Skizze oben, Diagonallinien). Um Flexibilität zum Raffen der Teile in Richtung Türrahmen zu erreichen, haben wir sie als klassische Vorhänge mit je 16 cm Stoffzugabe konzipiert, und mit diesem zusätzlichen Stoff je zwei Falten gebildet. Dadurch kann die Magnetkante bereits weit oben ganz an den Türrahmen herangezogen werden.


Es zeigte sich aber bereits bei der ersten “Anprobe”, dass die Magnete durch den zusätzlichen Stoff in der unteren Hälfte zu viel “Bewegungsfreiheit” haben und sich nicht finden. Auch fällt das Öffnen der geschlossenen Magnete durch Druck im Lot zur Stoffoberfläche schwer, weil man ziemlich weit hineindrücken muss, bis die Magnete die Öffnungskraft erfahren. So haben wir den oben benötigen zusätzlichen Stoff im unteren Teil durch Längsabnäher wieder fixiert. Jetzt ist dort der “Bauch” bei geschlossenen Magneten maximal 5 cm tief.


Durch den zusätzlichen Stoff kann der Vorhang schon weit oben bis an den Türrahmen gerafft werden

Befestigung und Dichtheit

Die beiden Vorhangteile sind oben mit einem 20-mm-Klettband versehen, seitlich mit 10 mm Klett und unten mit einem normalen Vorhang-Bleiband. An der Wand klebt oben ein 40-mm-Klettband, damit wir den Vorhang in der Höhe anpassen können, falls seine Länge wegen Feuchtigkeit oder Alterung variieren sollte; seitlich am Türrahmen reichen 10 mm Klett. Unter dem Bleiband ist ein Stoffsaum von 20 mm, der leicht auf dem Boden aufsteht; dies verursacht einerseits nur geringe Reibungskraft (sodass der Vorhang immer in Normalposition fällt und sich die Magnete nahe genug kommen), schafft aber andererseits eine dichte Lippe gegen die kleinen Viecher.


Unten schliesst ein Saum von 20 mm gegen den Boden ab

Magnetverschluss

Der Magnetverschluss besteht auf jeder Seite aus 10 Balsaholzleisten (10 x 10 x 150 mm), in die mit Araldit je ein oder zwei zylindrische Neodynmagnete (Durchmesser 5 mm, Höhe 8.47 mm, Haftkraft 900g; www.supermagnete.ch) eingeklebt sind.

Die schwarze Markierung auf den Leisten zeigt die Magnetpolung;
der Filzstift ist nur zum Grössenvergleich gezeigt
Es zeigte sich, dass zwei Magnete pro Leiste eine zu grosse Öffnungskraft erfordern, sodass wir jetzt folgende Verteilung verwenden (12 Magnete pro Seite):

Jeder Strich stellt eine Balsaholzleiste dar, jeder Punkt einen Magneten

Die Balsaleisten sind in einen passgenauen Stoffkanal eingeschoben, wo sie nicht weiter fixiert sind und sich gemäss den wirkenden Kräften (Gravitation, Biegung der Kante beim Zurückschieben des Vorhangs) platzieren.

Fazit

Der neue Moskitovorhang besteht aktuell gerade im Pantanal in Brasilien einen Härtetest. Hier hat es sowohl extrem viele Moskitos wie auch winzige Fliegetierchen, die durch kleinste Lücken finden. Unsere Konstruktion bewährt sich, und die Insekten, die trotzdem reinkommen, nutzen ihre Chance, während wir rein- oder rausgehen. Der Vorhang hat sich überdies noch nie durch den Wind geöffnet — man muss aber beim Schliessen bei Wind manchmal etwas nachhelfen, damit sie die Magnete finden. Sonst schliessen sich die beiden Teile zuverlässig mit einem zwölfmaligen leichten Klack-Geräusch. Yeah!

Für grundsätzliche Design-Überlegungen zu Mückenschutz an Türen, siehe hier.

Donnerstag, 31. März 2016

Wie alles begann, Teil 2

Im Teil 1 beschreibe ich, wie von zwei zu vier Rädern kamen. In diesem Teil geht es darum, warum wir mit genau diesem Fahrzeugtyp unterwegs sind, und warum es aussieht wie es aussieht.

Fahrzeugwahl

Es kam wie es kommen musste: obwohl wir auch seit 2006 fast jedes Jahr eine oder mehrere Veloreisen unternehmen (Spanien im Juni ist unser absoluter Favorit), entdeckten wir die zusätzlichen Möglichkeiten des automobilen Reisens. Über die Jahre erhärtete sich nämlich ein wichtiger Grundsatz für die Planung von Fahrradreisen: wir radeln dort, wo das Radeln erlebnisreich und angenehm ist. Wir scheuen nicht die Steigungen, die Distanz, die Höhe, die Schotterstrassen, die Abgelegenheit, etc.. Aber wir fahren nicht mehr im Regen (weil es absolut nichts bringt), wir pedalen nicht tagelang durch öde Landschaft oder im dichten Verkehr (weil uns die Zeit dafür zu schade ist), und wir meiden geografische oder klimatische Extreme (weil es sonst genügend lohnende Strecken gibt).

Piedra de Molino (3348 m.ü.M.), Argentinien, 2006

Mit einem Auto kann man die Grenzen von geografischen oder klimatischen Extremen weiter hinausschieben; kann öde Landschaften in Stunden bis Tagen statt in Tagen bis Wochen durchmessen; kann Schlechtwetterperioden nutzvoller verbringen, als einfach im Zelt auszuharren.

Ein Regentag als Fahrradfahrer im Zelt verläuft typischerweise so: 07:00 erwachen, es regnet — 08:00 erwachen, es regnet immer noch — 09:00 die Blase drückt, raus in den Regen, danach im Zelt frühstücken (es gibt weder Tisch noch Stuhl, Maximalhöhe ist 1.1 m), abwaschen, lesen — 11:00 die Ellenbogen tun weh, weiterlesen — 13:00 alles tut weh, Mittagessen — 15:00 alles tut weh, raus in den Regen — 16:00 zurück ins Zelt, Kleider und Schuhe sind nass, schreiben — 19:00 Nachtessen, abwaschen, lesen — 22:00 Nachtruhe; einschlafen geht nicht, weil die Bewegung fehlte.

Zelten an einem schönen Ort bei schönem Wetter ist kaum zu überbieten, Argentinien, 2006

Um herauszufinden, ob reisen mit einem Geländefahrzeug überhaupt unser Ding ist, nahmen wir Ende 2007 an einer geführten Tour in die Dünen von Libyen teil. Von der Tourleitung konnten wir einen älteren Toyota Landcruiser mit Dachzelt mieten. Das war für uns eine einmalige Gelegenheit, denn wir brauchten nur Kleider, Schlafsack und Lebensmittel für 17 Tage einzuladen, der Rest war vorhanden. Die Tour war der Hammer.




Wir lernten auf der Reise nicht nur Sanddünen-Fahren, sondern auch Folgendes:
  • Uns fehlte die Bewegung. Fazit: Fahrräder müssen mit
  • Camping ums Fahrzeug statt im Fahrzeug ist genau unser Stil (das schliesst die Küche mit ein)
  • Ein Dachzelt ist auch nur ein Zelt (und in der Regel kein besonders gutes), das sich bei Regen oder Kälte nicht sinnvoll nutzen lässt
  • Weniger ist mehr.
Das naheliegende Fahrzeug für unsere Nutzung (2007) war ein Landrover Defender oder ein Toyota Landcruiser. Es zeigte sich aber bald, dass diese Fahrzeugklasse bei gefordertem Fahrradtransport im Fahrzeuginneren — verbunden mit dem Anspruch, im Inneren gleichzeitig sitzen und schlafen zu können —zu klein ist. Nach unserer Erfahrung in Libyen schied das Dachzelt aus. Trotzdem finden wir campen im Zelt die schönste Art, die Nacht in der Natur zu verbringen, sofern nicht gerade ein Sturm tobt, oder der Atem an der Zeltwand gefriert.

Nationalparkcamp, Australien, 2014

Gefordert war also ein Fahrzeug, das
  • geografische Extreme meistern kann (schlechte Strassen, Sand, Wasser, grosse Höhen, lange Distanzen, etc.)
  • 2 Personen gegen klimatische Extreme und schlechtes Wetter schützt (Kälte, Nässe, Sonne, Wind, Staub, etc.)1;
  • für bis zu 7 Tage autark sein kann (Wasser, Lebensmittel, Treibstoff, Strom, etc.)2;
  • fliegende Insekten und gefährliche Tiere abhält (Fliegen, Mücken, Löwen, etc.);
  • bequemes Essen, Lesen, Schreiben, etc. im Innern ermöglicht3;
  • genügend Stauraum für notwendige Werkzeuge, Ersatzteile und Reiseausrüstung (inkl. 2 ausgewachsene Fahrräder) bietet4;
  • einbruchsicher und pannenresistent ist;
  • sich auf alle Kontinente verschiffen lässt;
  • so klein, wendig und geländegegängig wie möglich ist.
1 Für uns unwichtig ist die Möglichkeit, mehrere Tage in Schnee und extremer Kälte unterwegs zu sein. Sollte das einmal der Fall sein, ist es als Ausnahmesituation zu betrachten und Komforteinbussen sind akzeptabel.
2 Sollen mehr als 7 Tage Autarkie notwendig sein, ist es akzeptabel, dass durch zusätzlich mitgeführte Kanister, Boxen, etc. der Komfort eingeschränkt wird
3 Kochen im Innern soll den Ausnahmefall darstellen, Komforteinbussen sind dabei akzeptabel
4 Da wir als Radfahrer gerne gute Räder fahren, die man nicht einfach so dem Staub der Landstrasse aussetzt, und weil Südamerika mit einem gewissen Diebstahlrisiko immer ganz oben auf der Reiseliste stand, mussten die Fahrräder im Fahrzeug transportiert werden. Eine Dachbox schied aus praktischen Gründen rasch aus.

Im Container, Melbourne 2015

So viel zu den harten Anforderungen — sind nicht alle davon erfüllt, ist der Nutzen des Fahrzeugs für uns eingeschränkt. Hinzu kommen noch einige Komfortansprüche:
  • das Bett soll fest installiert sein;
  • bei gutem Wetter soll ein naturnahes Camping möglich sein;
  • bei heissem Wetter soll eine gute Belüftung gewährleistet sein (aber ohne Klimaanlage);
  • ein weltweites Servicenetz für das Basisfahrzeug soll vorhanden sein.
Die weitere Planung erfolgte auf Basis des von IVECO 2008 neu lancierten Daily 4x4. Während der Libyenreise sahen wir unseren ersten Bremach, allerdings “nur” das damals aktuelle Modell “Job / Extreme”, ein hässliches Entlein. Zudem schied Bremach als Exote für weltweites Reisen aus. Doch zeigte sich Anfang 2009, dass der Daily 4x4 im IVECO-Konzern selbst ein Exote war, weil er bei SCAM in Norditalien und nicht in den Werken von IVECO gebaut wurde. Der IVECO-Händler konnte die einfachsten Fragen nicht beantworten. Zusatztanks, Lagerung für Wohnaufbau, etc. hätte alles selbst aufgespürt oder entwickelt werden müssen.

Links ein normaler IVECO Daily, rechts ein Daily 4x4

Den projektierte Wohnaufbau setzte ich zur Visualisierung von Anfang an, weil es kein CAD-Modell des IVECO Daily 4x4 gab, auf ein CAD-Modell des Bremach T-Rex (gezeichnet mit SketchUp)


Zum Glück lancierte Bremach Ende 2008 das neue Modell “T-Rex”. Bis dahin hatte ich auch gemerkt, dass Bremach den IVECO-Daily-Motor und viele andere Teile von IVECO verbaut. Der Besuch bei Allrad Christ (Raab, A) im Juli 2009 überzeugte mich von diesem äusserst kompetenten Partner. Innert 10 Tagen war das Fahrzeug bestellt, das Anfang November 2009 geliefert wurde: fix und fertig mit Zusatztanks, Aufbaukonsolen, und vielem mehr. Genau einen Monat Zeit hatte Ormocar (Saarland, D) für den Wohnaufbau, fürs Lackieren reichte es aber nicht mehr. Zudem wusste ich gar noch nicht, welche Farbe und welches grafische Design es denn sein sollte. So blieb der Aufbau vorderhand weiss und kam erst in Melbourne zu Farbe.

Spezifikation der Masse (SketchUp)

Visualisierung mit offenem Dach (SketchUp)

Letzte Arbeiten bei Ormocar 

Die erste Fahrt mit dem neuen Wohnaufbau

Ich holte das Fahrzeug am 3. Dezember 2009 bei Ormocar ab, importierte es mit Oesterreicher-Nummernschildern in die Schweiz und überliess es Stuker (CH) für die technische Zulassung in der Schweiz. Am 10. Dezember flog ich für ein Jahr nach Australien. Am 14. Januar packte mein Bruder Manuel den T-Rex in Basel in einen Container, und wir nahmen ihn (den Bremach, nicht Manuel) am 25. März in Melbourne in Empfang. Jetzt begann erst richtig das Lernen und das Ausbauen, denn der Wohnaufbau war erst minimal ausgebaut: Bett, Staucontainer, Kühlbox, Wassertank. Kein Kocher, kein Licht, kein Mückenschutz, keine Standheizung, keine Vorrichtung für die Fixierung von Fahrrädern, kein Werkzeug, nicht einmal eine zweite Fahrzeugbatterie. Ein langer Weg lag vor uns.

Mittlerweile ist Kasbah fertig ausgebaut, hat 100'000 km, ist für drei Personen und 3'500 kg zugelassen. Er ist genau das Fahrzeug, das wir haben wollten, und ermöglicht uns die Reise durch die spektakulärsten Landschaften.

Cape York, Australien, 2015

Mittwoch, 30. März 2016

Wie alles begann, Teil 1


Nun fahren wir also mit unserem Bremach bereits seit dreieinhalb Monaten durch Südamerika — und sind damit sozusagen am Ende unserer Träume angelangt. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass wir jetzt mit einem kleinen Lastwagen den conosur erkunden, wo wir unsere Auszeiten doch traditionell mit dem Fahrrad bestritten? Und warum fahren wir überhaupt genau dieses Fahrzeug und nicht etwas “Normales”?

Am Pichachén-Pass im "Niemandsland" zwischen Chile und Argentinien, März 2016

Im Teil 1 schildere ich, wie wir vom Fahhrad zum Allrad-Fahrzeug kamen. Im Teil 2 werde ich die gestellten Anforderungen und den Prozess der Fahrzeugwahl und -beschaffung beschreiben.

Räder

Natürlich bestand auch meine automotive Evolution aus den drei klassischen Stufen: Dreirad – Zweirad –  Vierrad. Doch musste ich über zusätzliche Stationen ans Ziel gelangen: Dreirad (1) → Zweirad (2) → Dreirad (3) → Zweirad (4)  → Vierrad (5) → Zweirad (6) → Vierrad (7).

1. Dreirad

Den Anfang machte ein kleines aus dünnen Eisenrohren geschweisstes hellblaues Dreirad, dessen Sitz aus einem weiss-blau-rot gepolsterten Holzbrett bestand, und das über direkt mit dem Vorderrad verbundenen Pedalen angetrieben wurde. Das war mir aber zu langsam, und ich fand bald heraus, dass ich einen Fuss auf die Hinterachse stellen und mich mit dem andern am Boden abstossen konnte. Nun ging die Post ab!

2. Zweirad

Das blaue Trottinett (hochdeutsch: Roller) wurde erst ab dem Moment interessant, als mir ein grösserer Junge zeigte, wie man den Schuhabsatz unter das Pedal der Hinterbremse klemmen und durch eine Sprungbewegung das ganze Vehikel vom Boden abheben konnte.
Mein erstes “richtiges” Velo war eine herbe Enttäuschung: das gelbe BOBO mit dem dunkelroten Gummisattel war — modern ausgedrückt — ein Fixie (Starrlauf ohne Gänge) und dadurch eine lahme Ente. Erst 30 Jahre später lernte ich, dass bobo in Spanisch doof bedeutet.

3. Dreirad (revisited)

Mein Grossvater muss gemerkt haben, dass BOBO nicht mein Freund war, und schenkte mir alsbald einen "Holländer" (Cyclo-Skiff): ein geniales, tief gelegtes, dunkelrotes Dreirad, das mit den Füssen am Vorderrad gelenkt und mit Ruderbewegung über zwei Hebel angetrieben wurde. Es war wiederum ein Fixie, aber eines, das vor allem für den Indoor-Gebrauch gedacht war, und das Spass machte. Die weissen Vollgummiräder hatten phänomenale Haftung, und weil der Schwerpunkt sehr tief lag, konnte ich damit so richtig um die Ecken fetzen.

(Bildquelle: vintagewerkstatt.ch)

4. Zweirad (revisited)

Es folgte das erste richtige Velo: ein gebrauchtes, rotes Bubenrad mit einem Gang dafür ohne Starrlauf. Rot gefiel mir nicht, also pinselte ich es mit schwarzer Lackfarbe an und verzierte es mit gelbem und rotem Tesaband.

5. Vierrad

Dass das nunmehr schwarze Rad auch nicht der grosse Bringer war, merkte mein Grossvater wiederum bald. Als Autofahrlehrer und gelernter Wagner gab es für ihn nur einen Ausweg: eine Seifenkiste. Ich glaube, er unterschätzte das Projekt, was uns beiden aber nicht weniger Spass bereitete. Eines Tages, 1976, kam er mit dem Seifenkistenbausatz (Achsen, Räder, Lenksäule) und dem dazugehörigen technischen Reglement von Rivella an. Der Getränkehersteller Rivella führte damals eine vielbeachtete Seifenkisten-Rennserie in der deutschen Schweiz durch. Ganz aus Holz gebaut, mit Lenkrad und Fiberglass-Schalensitz aus einem GoKart ausgerüstet, machte mich diese Kiste auf Anhieb zum Fricktaler Meister! Inspiriert vom John-Player-Special-Design der damaligen Lotus Formel-1-Rennwagen lackierte ich die Kiste schwarz glänzend und sprayte die Filets, JPS-Signete und Räder mit allen verfügbaren Gold-Spraydosen aus der Drogerie Scholl.

Warum ich mir selbst eine blaue Brille ins Foto retuschierte, kann ich heute nicht mehr erklären
(rechts im Bild mein Bruder Manuel)

Aus dem "Werkshandbuch"

6. Zweirad (rerevisited)

Die Kiste war leider etwas schwer geraten, sodass ich in den Rennen mit zunehmendem Alter und Gewicht mit immer mehr Zeitzuschlag bestraft wurde. Das reduzierte die Siegeschancen auf null und war vorerst das Ende meiner Vierradkarriere. Mit 18 kaufe ich mir mein erstes Rennrad von einer hochgewachsenen Schulkollegin, deren Vater für sie bis dahin Karrierepläne im Radrennsport gehegt hatte. Für die nächsten acht Jahre waren der nördliche Aargau und der südliche Schwarzwald meine Pirsch. Erst recht, als sich diese Gebiete auch fürs Motorradfahren als erstklassig erwiesen. Noch vor dem ersten Auto kam das erste Mountain Bike (1991).

Ein fotografisches Kunstwerk meines Vaters (2008)

7. Vierrad (endlich!)

Obwohl ich mich an schönen Motorrädern und Autos erfreuen kann, war das Auto für mich immer nur ein Nutzfahrzeug: vom 14-jährigen goldfarbenen VW Scirocco über einen dunkelgrünen Renault Espace zum stratusblauen VW Sharan. Letzteren verkaufte ich im November 2014, nach 13.5 Jahren, aber doch mit etwas Wehmut — mit Abstand mein bisher bestes Auto!

Reisen

Meine erste grosse Reise — und gleichzeitig mein erster Flug in einem kommerziellen Airliner — führte mich 1991 zusammen mit meinen Studienfreund Louis nach Australien. Mit beschränkten Budget leisteten wir uns für vier Wochen ein Auto und fuhren damit von Sydney nach Cairns. Von dort reisten wir mit dem viel günstigeren Bus weiter. Gefallen hat es mir in Australien sehr, aber noch mehr beeindruckt war ich von mehreren Neuseeländern, die ich dort kennenlernte. Die nächste Reise führte mich deshalb 1994 für fünf Monate nach Neuseeland, auf dem Velo. Dass ich dort bereits nach einem Monat eine nette Winterthurerin treffen sollte, die ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs war, war Fügung. Leider blieben ihr vor der Rückreise nur noch zwei Wochen. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir bereits dort feststellten, dass wir beide gerne einmal Südamerika bereisen würden. So oder so war das Velo von da an unser Reiseverkehrsmittel Nummer eins, und Südamerika blieb stets im Hinterkopf.

Coromandel Peninsula, Neuseeland, 1994

2000 unternahmen wir den ersten Schritt Richtung Südamerika: einen Spanischkurs bei Inlingua in Bern. Wir hatten Glück: mit Yadira aus Costa Rica machten wir rasch Fortschritte und eigneten uns gleich von Beginn weg den weicheren lateinamerikanischen Akzent an. Trotzdem verstanden wir 2001 am Anfang unserer Veloreise durch Kuba kaum ein Wort — das kubanische Spanisch ist wohl das am schwierigsten zu verstehende, weil wegen der Revolution viele Standartwörter durch Verschleierungen ersetzt worden waren, und weil die Kubaner ganz Silben verschlucken (“nosotro cortamo (wir lassen Buchstaben weg)”, richtig: “nosotros cortamos”). Das war aber nicht entmutigend sondern zeigte uns, dass wir noch viel zu lernen hatten.

Radfahren auf kubanischen Autobahnen: Verkehr gab es so gut wie keinen

So war 2006 der logische Einstieg in unsere bisher längste Veloreise ein 6-wöchiger Sprachkurs in Mendoza (Argentinien). Im Anschluss radelten wir von Bariloche bis an die Grenze zu Bolivien, eine wunderbare Reise meist abseits der grossen Strassen (Reisebericht). Weiter ging es mit dem Bus durch Bolivien und Venezuela. Mehrfach nahmen wir auf dieser Reise an geführten Touren teil, um auch abgelegene oder schwer zu erreichende Ecken erkunden zu können. Das Highlight war die 4-tätige Lagunentour von Uyuni (Bolivien) aus. Tags war es 20°C, nachts –20°C. Wir waren teilweise auf über 4700 m.ü.M., fuhren durch Sand und Geröll. Die Landschaft war umwerfend.

Der Beginn der Reise durch Argentinien, Bariloche, 2006

Uyuni-Tour, Bolivien, 2006. Auf dem Dach der Fahrer, eingehüllt die Köchin

Vulkan Licancabur, Bolivien (ja, es ist ein Foto!)


Fortsetzung im Teil 2.