Mittwoch, 18. Februar 2015

Der Deddick Trail

Victoria, der australische Teilstaat, dessen Hauptstadt Melbourne ist, bezeichnet sich als eine Hochburg des “four-wheeling”, meist als “four-wheel driving” oder “4WDing” bezeichnet. Das High Country im östlichen Teil des Staates besteht vor allem aus Wald, Weideland und Bergen bis 1'986 m (Mt Bogong). Der Boden ist grösstenteils Lehm, Schotter und Fels, und man findet vorwiegend Eukalypten, Sträucher und Farne, je nachdem wie viel Wasser übers Jahr zur Verfügung steht. Zwei Nationalparks, der Alpine National Park (knapp 6'500 km2) und der Snowy River National Park (knapp 1'000 km2) decken einen guten Teil des High Country ab. Mit dem 4x4-Fahrzeug (“four-wheel drive”, 4WD) durch die Nationalparks zu fahren ist nicht nur toleriert sondern die anerkannte Art, diese riesigen Gebiete zu erkunden. Die Parks Notes, die es für jeden der Nationalpark gibt, weisen auch die 4WD-Tracks und Fahrtipps aus. 4WD-Tracks sind im Gelände stets als solche markiert («4WD only»).

Ein populärer — und auch etwas berüchtigter —Track ist der Deddick Trail. Er beginnt (oder endet) bei der McKillops-Bridge, einer für die Zeit kühnen Beton-Metall-Holz-Brücke (1934). Die 255 m lange McKillops-Bridge überquert den Snowy River, der wegen seiner Hochwasser zur Schneeschmelze gefürchtet ist. Die erste Version der Brücke wurde 1934 gebaut. Neun Tage vor der Einweihung fegte ein Hochwasser die Brücke weg. Sofort wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen: zuerst wurden die Pfeiler um fünf Meter erhöht, dann erneut eine Stahlkonstruktion draufgesetzt. Ein Einheimischer erzählte uns, dass das Wasser 1971 so hoch stand, dass es zwischen den Diagonalstreben hindurchfloss.




1974 wurde der grösste Teil des Wassers zur Stromgewinnung abgezweigt, und der Snowy River ist seither ein ziemlich zahmer Fluss.

Der Deddick Trail führt von der McKillops-Bridge über 50 km nach Süden.


Unmittelbar nach dem Schild «4WD only, dry weather only» wird der Track schmal und bald darauf steil. Zeit, die Geländeuntersetzung einzulegen, die für die nächsten 50 km drinbleibt; das Zentraldifferential hatten wir bereits auf der zuführenden Schotterpiste gesperrt und die Luft in den Reifen auf 1.9 bar reduziert (Gesamtgewicht ca. 3'600 kg, Grabber AT 315/75 R16). Ist anfangs der dritte Gang noch komfortabel, wird es bald so steil und dann auch steinig, dass der zweite die bessere Wahl ist. Obwohl der IVECO-Motor so viel Drehmoment hat, dass er diese Anstiege auch im dritten Gang bewältigen könnte, ist im zweiten eine feinere Dosierung der Leistung möglich.

Anfangs stellt sich noch das etwas mulmige Gefühl ein, dass plötzlich einer entgegenkommen könnte, und dass man dann wohl anhalten, wieder anfahren und irgendwie kreuzen müsste. Aber den ganzen Tag passiert dies nur genau einmal und an einer übersichtlichen Stelle. Ab und zu gab es grandiose Aussichten auf den Snowy River National Park.

Bei den Bildern ist zu beachten, dass, egal wie man Steigungen aus dem
Fahrzeug heraus fotografiert: sie sehen immer sehr zahm aus.


Steigt man anfangs noch durch trockene Wiesen und Wälder mit niedrigem Gebüsch auf, so wird es nach einer knappen Stunde kurvigen und steilen Anstiegs mit einem Mal wieder flach: das Gelantypi-Plateau. Die Vegetation ändert etwa gleich dramatisch: andere Eukalypten, dazu Farne, Pfützen. Der Wald ist vor einem Jahr abgebrannt.


Von hier geht es auf und ab bis man nach einer weiteren Stunde die sogn. “Staircase” (Treppenhaus) abfährt. Der Name ist Programm, und der Track sehr steil. Damit der Regen keine Bäche bilden und Längsrinnen ausfressen kann, ist alle 30-50 Meter eine Wall angelegt, der das Wasser seitwärts in den Hang ableitet. Dadurch gibt es fast flache Absätze und sehr steile Zwischenstücke. Der erste Geländegang und gelegentliches, unterstützendes, sanftes Bremsen halten die Geschwindigkeit konstant. Unten kommt man in eine flache Talsohle mit dichtem Bewuchs. Eine willkommene Verschnaufpause mit Picnic.


Dann geht es an eine Bachüberquerung (“if you can’t walk it, don’t drive it”), bei der es sich sehr gelohnt hat durchzuwaten, denn kurz vor den Ausstieg ist ein Loch von knapp 70 cm Tiefe, das vom Einstieg her nicht zu sehen war, und an dessen Grund grosse Bollensteine die Fahrt holprig werden lassen. Kasbah geht im zweiten Geländegang drüber als wäre es sein täglich Brot.


Nun steht der berüchtigte Mt Joan an. 300 Höhenmeter, auf denen der Track sofort sehr steil ansteigt und mit jeder Stufe noch steiler zu werden scheint. Der erste Gang in der Geländeuntersetzung ist gerade richtig, das Hinterachsdifferential ist jetzt ebenfalls gesperrt, weil man damit nicht warten sollte, bis man steckenbleibt. Nach gut 100 Höhenmetern glauben wir das Erstemal, wir hätten es geschafft, doch es stellt sich alsbald heraus, dass diese Trittstufe einfach etwas länger ist als die andern. Abermals klettern wir Meter um Meter gegen Himmel, steiler als je zuvor. “Wheel placement”, d.h. die richtige Spurwahl, ist hier neben konstanter Drehzahl (ca 2'500 U/min) alles. Unglaublich, wie sich der Bremach hochzieht. Die Piste ist dabei ziemlich eben, ab und zu gibt es loses Geschiebe, das man nicht umfahren kann. Hier merkt man die Wirkung des gesperrten Hinterachsdifferentials.



Als wir erneut glauben, wir hätten es nun geschafft, wird es haarsträubend steil, ca. 30° (oder knapp 60% Steigung), und nun hat’s auch noch Fahrrinnen. Offenbar haben andere Fahrzeug hier schon tüchtig “gewühlt”. Halb können wir diese Umfahren, ab und zu hört man, wie eines oder zwei Räder kurzzeitig den Halt verlieren. Was tun, wenn plötzlich nichts mehr geht, oder einer entgegenkommt? — Das sollte man sich nicht erst jetzt überlegen. Wir sind die Routine am Morgen bei der Vorbereitung nochmals durchgegangen, denn drei unterschiedliche Track-Beschreibungen qualifizieren den Deddick Trail unabhängig von einander als difficult und beschreiben den Mt. Joan als very steep. Sollten wir plötzlich in einer der Steilsektionen die Traktion verlieren, dann wissen wir aus Erfahrung, dass der IVECO-Motor auch im Standgas nicht einfach hustet und abstellt, sondern selbständig das nötige Drehmoment liefert, damit der Motor weiterdreht. Das ganze Fahrzeug beginnt dann an Ort zu hoppeln, und es gibt nur eines: den Motor mit der Fussbremse abwürgen und diese vorderhand gedrückt halten, die Kupplung aber nicht anrühren. Dann die Handbremse anziehen. Jetzt ist das Fahrzeug dreifach gesichert (über Achsen–Sperren–Verteilergetriebe–Kupplung–Motor; über die Fussbremse; über die Handbremse), und man hat Zeit, zu überlegen, wie man weiter vorgehen will. Im Wesentlichen gibt es hier nur eine Option, weil wir weder eine Winde noch Begleitfahrzeuge haben: rückwärts zum nächsten nicht so steilen Zwischenstück abfahren. Wie das geht, ist hier beschrieben. Dort angekommen würden wir weiter Luft aus den Reifen ablassen und dann mit gleicher oder leicht erhöhter Geschwindigkeit nochmals probieren, ev. die Spurwahl etwas anpassen. Es war gut, dass wir uns auf den Fall vorbereitet hatten, denn er traf aus diesem Grund nicht ein: Kasbah krabbelte und krabbelte einfach nach oben.

Glück hatten wir insofern, als dass der für den Abend angekündigte Regen auch erst am Abend kam, denn bei Nässe hätten wir den Mt. Joan bestimmt nicht geschafft. Somit hätten wir wohl am Picnic-Platz übernachten müssen, denn der Abstieg in dieses Tal war fast ebenso steil. Ob das Problem damit gelöst gewesen wäre, sei dahingestellt, denn das schlechte Wetter hielt mehrere Tage an.

Alles nach dem Mt. Joan war “a walk in the park”, wie man hier so sagt: einfach. Es folgten weitere Ab- und Auffahrten und weitere Bachquerungen. Die Vegetation wurde wieder sehr üppig, am Schluss folgte ein Stück vor einem Jahr abgebrannter Eukalyptuswald, der daran ist, sich zu regenerieren. Das gesamte Unterholz sowie die kleinen Bäume und sogar die Äste der grossen Bäume sind verbrannt und grösstenteils um- oder abgefallen. Aber die dicken Stämme leben weiter und schicken auf der ganzen Länge Trieblinge aus.





Das ganze "Abenteuer" dauerte gute fünf Stunden. Die Park Notes empfehlen, den Deddick Trail von Süden nach Norden zu fahren —jetzt wissen wir warum. Als Belohnung gibt’s einen schönen Campingplatz mit nagelneuer Toilette, denn auch hier ist der Wald vor kurzem abgebrannt.