Mittwoch, 30. März 2016

Wie alles begann, Teil 1


Nun fahren wir also mit unserem Bremach bereits seit dreieinhalb Monaten durch Südamerika — und sind damit sozusagen am Ende unserer Träume angelangt. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass wir jetzt mit einem kleinen Lastwagen den conosur erkunden, wo wir unsere Auszeiten doch traditionell mit dem Fahrrad bestritten? Und warum fahren wir überhaupt genau dieses Fahrzeug und nicht etwas “Normales”?

Am Pichachén-Pass im "Niemandsland" zwischen Chile und Argentinien, März 2016

Im Teil 1 schildere ich, wie wir vom Fahhrad zum Allrad-Fahrzeug kamen. Im Teil 2 werde ich die gestellten Anforderungen und den Prozess der Fahrzeugwahl und -beschaffung beschreiben.

Räder

Natürlich bestand auch meine automotive Evolution aus den drei klassischen Stufen: Dreirad – Zweirad –  Vierrad. Doch musste ich über zusätzliche Stationen ans Ziel gelangen: Dreirad (1) → Zweirad (2) → Dreirad (3) → Zweirad (4)  → Vierrad (5) → Zweirad (6) → Vierrad (7).

1. Dreirad

Den Anfang machte ein kleines aus dünnen Eisenrohren geschweisstes hellblaues Dreirad, dessen Sitz aus einem weiss-blau-rot gepolsterten Holzbrett bestand, und das über direkt mit dem Vorderrad verbundenen Pedalen angetrieben wurde. Das war mir aber zu langsam, und ich fand bald heraus, dass ich einen Fuss auf die Hinterachse stellen und mich mit dem andern am Boden abstossen konnte. Nun ging die Post ab!

2. Zweirad

Das blaue Trottinett (hochdeutsch: Roller) wurde erst ab dem Moment interessant, als mir ein grösserer Junge zeigte, wie man den Schuhabsatz unter das Pedal der Hinterbremse klemmen und durch eine Sprungbewegung das ganze Vehikel vom Boden abheben konnte.
Mein erstes “richtiges” Velo war eine herbe Enttäuschung: das gelbe BOBO mit dem dunkelroten Gummisattel war — modern ausgedrückt — ein Fixie (Starrlauf ohne Gänge) und dadurch eine lahme Ente. Erst 30 Jahre später lernte ich, dass bobo in Spanisch doof bedeutet.

3. Dreirad (revisited)

Mein Grossvater muss gemerkt haben, dass BOBO nicht mein Freund war, und schenkte mir alsbald einen "Holländer" (Cyclo-Skiff): ein geniales, tief gelegtes, dunkelrotes Dreirad, das mit den Füssen am Vorderrad gelenkt und mit Ruderbewegung über zwei Hebel angetrieben wurde. Es war wiederum ein Fixie, aber eines, das vor allem für den Indoor-Gebrauch gedacht war, und das Spass machte. Die weissen Vollgummiräder hatten phänomenale Haftung, und weil der Schwerpunkt sehr tief lag, konnte ich damit so richtig um die Ecken fetzen.

(Bildquelle: vintagewerkstatt.ch)

4. Zweirad (revisited)

Es folgte das erste richtige Velo: ein gebrauchtes, rotes Bubenrad mit einem Gang dafür ohne Starrlauf. Rot gefiel mir nicht, also pinselte ich es mit schwarzer Lackfarbe an und verzierte es mit gelbem und rotem Tesaband.

5. Vierrad

Dass das nunmehr schwarze Rad auch nicht der grosse Bringer war, merkte mein Grossvater wiederum bald. Als Autofahrlehrer und gelernter Wagner gab es für ihn nur einen Ausweg: eine Seifenkiste. Ich glaube, er unterschätzte das Projekt, was uns beiden aber nicht weniger Spass bereitete. Eines Tages, 1976, kam er mit dem Seifenkistenbausatz (Achsen, Räder, Lenksäule) und dem dazugehörigen technischen Reglement von Rivella an. Der Getränkehersteller Rivella führte damals eine vielbeachtete Seifenkisten-Rennserie in der deutschen Schweiz durch. Ganz aus Holz gebaut, mit Lenkrad und Fiberglass-Schalensitz aus einem GoKart ausgerüstet, machte mich diese Kiste auf Anhieb zum Fricktaler Meister! Inspiriert vom John-Player-Special-Design der damaligen Lotus Formel-1-Rennwagen lackierte ich die Kiste schwarz glänzend und sprayte die Filets, JPS-Signete und Räder mit allen verfügbaren Gold-Spraydosen aus der Drogerie Scholl.

Warum ich mir selbst eine blaue Brille ins Foto retuschierte, kann ich heute nicht mehr erklären
(rechts im Bild mein Bruder Manuel)

Aus dem "Werkshandbuch"

6. Zweirad (rerevisited)

Die Kiste war leider etwas schwer geraten, sodass ich in den Rennen mit zunehmendem Alter und Gewicht mit immer mehr Zeitzuschlag bestraft wurde. Das reduzierte die Siegeschancen auf null und war vorerst das Ende meiner Vierradkarriere. Mit 18 kaufe ich mir mein erstes Rennrad von einer hochgewachsenen Schulkollegin, deren Vater für sie bis dahin Karrierepläne im Radrennsport gehegt hatte. Für die nächsten acht Jahre waren der nördliche Aargau und der südliche Schwarzwald meine Pirsch. Erst recht, als sich diese Gebiete auch fürs Motorradfahren als erstklassig erwiesen. Noch vor dem ersten Auto kam das erste Mountain Bike (1991).

Ein fotografisches Kunstwerk meines Vaters (2008)

7. Vierrad (endlich!)

Obwohl ich mich an schönen Motorrädern und Autos erfreuen kann, war das Auto für mich immer nur ein Nutzfahrzeug: vom 14-jährigen goldfarbenen VW Scirocco über einen dunkelgrünen Renault Espace zum stratusblauen VW Sharan. Letzteren verkaufte ich im November 2014, nach 13.5 Jahren, aber doch mit etwas Wehmut — mit Abstand mein bisher bestes Auto!

Reisen

Meine erste grosse Reise — und gleichzeitig mein erster Flug in einem kommerziellen Airliner — führte mich 1991 zusammen mit meinen Studienfreund Louis nach Australien. Mit beschränkten Budget leisteten wir uns für vier Wochen ein Auto und fuhren damit von Sydney nach Cairns. Von dort reisten wir mit dem viel günstigeren Bus weiter. Gefallen hat es mir in Australien sehr, aber noch mehr beeindruckt war ich von mehreren Neuseeländern, die ich dort kennenlernte. Die nächste Reise führte mich deshalb 1994 für fünf Monate nach Neuseeland, auf dem Velo. Dass ich dort bereits nach einem Monat eine nette Winterthurerin treffen sollte, die ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs war, war Fügung. Leider blieben ihr vor der Rückreise nur noch zwei Wochen. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir bereits dort feststellten, dass wir beide gerne einmal Südamerika bereisen würden. So oder so war das Velo von da an unser Reiseverkehrsmittel Nummer eins, und Südamerika blieb stets im Hinterkopf.

Coromandel Peninsula, Neuseeland, 1994

2000 unternahmen wir den ersten Schritt Richtung Südamerika: einen Spanischkurs bei Inlingua in Bern. Wir hatten Glück: mit Yadira aus Costa Rica machten wir rasch Fortschritte und eigneten uns gleich von Beginn weg den weicheren lateinamerikanischen Akzent an. Trotzdem verstanden wir 2001 am Anfang unserer Veloreise durch Kuba kaum ein Wort — das kubanische Spanisch ist wohl das am schwierigsten zu verstehende, weil wegen der Revolution viele Standartwörter durch Verschleierungen ersetzt worden waren, und weil die Kubaner ganz Silben verschlucken (“nosotro cortamo (wir lassen Buchstaben weg)”, richtig: “nosotros cortamos”). Das war aber nicht entmutigend sondern zeigte uns, dass wir noch viel zu lernen hatten.

Radfahren auf kubanischen Autobahnen: Verkehr gab es so gut wie keinen

So war 2006 der logische Einstieg in unsere bisher längste Veloreise ein 6-wöchiger Sprachkurs in Mendoza (Argentinien). Im Anschluss radelten wir von Bariloche bis an die Grenze zu Bolivien, eine wunderbare Reise meist abseits der grossen Strassen (Reisebericht). Weiter ging es mit dem Bus durch Bolivien und Venezuela. Mehrfach nahmen wir auf dieser Reise an geführten Touren teil, um auch abgelegene oder schwer zu erreichende Ecken erkunden zu können. Das Highlight war die 4-tätige Lagunentour von Uyuni (Bolivien) aus. Tags war es 20°C, nachts –20°C. Wir waren teilweise auf über 4700 m.ü.M., fuhren durch Sand und Geröll. Die Landschaft war umwerfend.

Der Beginn der Reise durch Argentinien, Bariloche, 2006

Uyuni-Tour, Bolivien, 2006. Auf dem Dach der Fahrer, eingehüllt die Köchin

Vulkan Licancabur, Bolivien (ja, es ist ein Foto!)


Fortsetzung im Teil 2.

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